Und täglich grüßt die Phase

Karlie Lennox • 23. Juni 2025

Und täglich grüßt die Phase

»F***, ist das mein Kind oder Taz, der tasmanische Teufel?«

 

Hand aufs Herz – ich bin diejenige, die sich diese Frage seit ein paar Monaten immer wieder stellt. Aber nicht weil ich unter Amnesie leide und Karlchen nicht mehr erkenne (um Gottes willen!), sondern weil er in regelmäßiger Wiederholung ein Verhalten an den Tag legt, das wir bis dato nicht kannten.

 

Ich sage dir, Mama eines Kleinkindes zu sein, ist wahrlich kein Zuckerschlecken – wahrscheinlich ist es das nie, egal, in welchem Alter das Kind ist.

 

Als Karlchen noch ein Baby war, war vieles entspannter. Das Erkunden von Spielzeug war so aufregend wie das Aufspüren neuer Galaxien und das alltägliche Programm wie Hände waschen, wickeln, anziehen und Zähne putzen nahm er mit mal mehr, mal weniger Akzeptanz hin.

Heute hingegen sieht die Sache anders aus, denn werden Kinder älter, formt sich ein eigener Charakter – und ein eigener Wille. Bloß dass der nicht immer kompatibel ist. Und sobald Karlchens und meine Vorstellung auseinandergehen, ist seine Reaktion filmreif – aber alles andere als lustig:

 

Von jetzt auf gleich verwandelt er sich in Mini-Hulk, wird fuchsteufelswild und wirft mit Sachen um sich, als würde er gerade an einem Weitwurf-Wettbewerb teilnehmen. Allerdings ohne Ball, dafür mit Dingen, die er in seinem Wutanfall zwischen die Fingerchen bekommt: Legosteine, Spielzeugautos, Bauklötze … Die Liste ist lang und der Fantasie sind hierbei keine Grenzen gesetzt.

Als Mama steht man dann verzweifelt daneben und fragt sich: Was ist passiert? Warum ist Karlchen auf einmal so wütend?

Antwort: Ich habe keinen blassen Schimmer.

 

Was ich jedoch in den letzten Monaten gelernt habe, ist, dass diese Wut von einer Entwicklungsphase herrührt.

In diesem Zusammenhang bin ich auf den Begriff Terrible Two gestoßen. Klingt grässlich, oder? Tatsächlich trifft dieser Ausdruck genau ins Schwarze.

 

Das Alter zwei kann wahrhaftig schrecklich sein. Genau dann beginnt nämlich die sogenannte Autonomiephase – wohl eher als Trotzphase bekannt –, die bis zum fünften Lebensjahr andauern kann (na bravo!).

Das Kind will sich entfalten – was gut ist. Weniger gut ist, dass es dabei mit aller Macht sein Köpfchen durchsetzen will. Wenn ihm das verweigert wird, bahnt sich eine mittlere Katastrophe an.

 

Bei Karlchen ist es zum Beispiel so, dass er im Gegensatz zu früher überhaupt keine Lust mehr auf das alltägliche Programm hat. Dieses ist für ihn derzeit etwa so angenehm wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt – das Geschrei könnte zumindest darauf schließen lassen. Aus einer unverfänglichen Prozedur entwickelt sich ein Spießrutenlauf und aus fünf Minuten wird dann gut und gerne eine Viertelstunde.

Aber auch in anderen Situationen verwandelt sich mein sonst eher ruhiges Kind in ein Teufelchen. Meist dann, wenn Gegenstände nicht das tun, was Karlchen will.

 

Wir haben irgendwann beschlossen, uns zu Karlchens Wutanfällen beraten zu lassen, da wir nicht wussten, wie wir mit ihnen umgehen sollten – bei der Geburt gibt es ja leider keine Gebrauchsanweisung dazu. Und das war gut so. Ich kann nur jedem empfehlen, professionelle Tipps einzuholen, wenn man nicht weiter weiß. Es ist überhaupt keine Schande, in Verzweiflungssituationen um Hilfe zu rufen. Vor allen Dingen dann nicht, wenn man das letzte Einhorn zu sein scheint, das sich mit einer Problematik auseinandersetzen muss, die anderen gänzlich unbekannt ist. Bei denen ist ja immer alles super – na klar! Aber das ist ein anderes Thema, das ich bereits angeschnitten habe …

 

Uns wurde von der Erziehungsberatungsstelle empfohlen, in ruhiger Manier an Karlchen heranzutreten und seine Rage anzusprechen. »Du bist gerade richtig wütend, was?«, bietet sich beispielsweise an. Dann versteht das Kind, welches Gefühl es in der Sekunde so fest im Griff hat.

 

Klingt nicht überzeugend? Verstehe ich …

Zugegeben, dieser Expertenvorschlag scheint so realitätsnah wie ein Disneyfilm zu sein. Wenn einem Bauklötze oder gar spitze Spielzeugautos um die Ohren fliegen, neigt man nicht gerade dazu, sich in ein Abbild des Dalai Lama zu verwandeln. Aber es kann funktionieren – wenn auch selten. Karlchen hat durchaus schon mal innegehalten und sich beruhigt.

 

Tatsache ist jedoch, dass es kein Zaubermittel gegen Wutanfälle gibt. Keinen Trick, der den kleinen Wüterich in die entspannte Ausgabe zurückverwandelt.

Es gibt nur eins, das zwar wenig hilfreich ist, aber die ernüchternde Lösung zu sein scheint: Geduld.

Prima, nicht gerade das ideale Wort für eine Frau wie mich, die stets vom Gegenteil beherrscht wird – von Nerven aus Drahtseilen schon mal ganz zu schweigen.

Gerade an miesen Tagen – die Nacht war unruhig und womöglich rollt auch noch eine Erkältung an – kann die Zündschnur schon mal ein bisschen kürzer sein. Doch muss auch ich meinem Ärger mal Luft machen. Natürlich brülle ich dann nicht herum, sondern rede mit fester Stimme auf Karlchen ein und spreche das Verhalten an, das mich auf die Palme bringt. Und wenn wieder einmal Legosteine wie Geschosse durch die Luft ballern, wird das Spielzeug einkassiert.

Mir ist klar, dass er selbst nicht versteht, was mit ihm los ist, was eine Phase überhaupt ist und sie mit ihm macht. Daher gebe ich mein Bestes, ihn durch seinen inneren Tumult zu begleiten. Karlchen bekommt die Liebe, den Halt und die Nähe, die er braucht – auch wenn zwischendurch Ansagen gemacht werden.

 

Doch sehen die Zukunftsaussichten, was die Dauer der Trotzphase angeht, bescheiden aus.

Obwohl Karlchen mittlerweile drei ist, versucht er immer noch, das alltägliche Programm mittels tobenden Protests zu boykottieren, und auch das Spielzeug fliegt uns in regelmäßigen Abständen lustig um die Ohren – was mir nur eins sagt: Die Meuterei ist noch in vollem Gange und lange nicht vorbei. Uff …

Ich muss zugeben, dass sie mich oft an meine Grenzen bringt. Wenn Karlchen anhaltend wegen nichts Zeter und Mordio schreit, fühle ich mich ausgebrannt, erschöpft. Seine Rebellion zehrt an meiner Fassung, sodass ich am liebsten die Koffer packen und mich eine Zeit lang in den Süden absetzen würde …

Aber ich mache es nicht. Stattdessen rede ich mir ein, dass es – wie das Wort schon sagt – nur eine Phase ist. Kein Dauerzustand, keine Konstante, sondern etwas, das nach einer Zeit vorübergeht.

 

Bis dahin heißt es desillusorisch: Augen zu und durch.

Auch wenn es vielleicht keiner offen zugeben will: Irgendwo gibt es sie, die Gleichgesinnten, die in dieser Sekunde mit einem Mini-Choleriker kämpfen.

Lasst uns gemeinsam dadurch gehen, darüber reden, in die Tischplatte beißen oder die Wände hochgehen.

Denn es ist vollkommen in Ordnung, zuzugeben, dass eben nicht immer alles super ist.

   

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