Immer alles tutti, oder wie?
Immer alles tutti, oder wie?
Kennst du diesen Typen Mensch? Den nickenden Dauerlächler? Der selbst bei einem Weltuntergang auf die Wie-geht’s-dir-Frage mit einem standardisierten ›Alles gut!‹ antwortet?
Ehrlich gesagt lässt diese stets positive Verkündung bei mir Dutzende Fragezeichen aufblinken. Wie geht das? Wie ist es möglich, dass bei anderen immer alles super ist?
Schon vor Karlchens Geburt stand mein Leben regelmäßig kopf. Dabei gab es gleich zwei Themen, mit denen ich mich auseinander setzen musste: Auf der einen Seite war da die Dauer-Kirmes namens Job. Der Stress war nicht selten so hoch, dass ich auf dem Zahnfleisch aus dem Büro gekrochen bin.
Der zweite Dauerbrenner waren die Folgen für meine Gesundheit. Immer wieder hatte ich diverse Baustellen, die einfach nicht fertig werden wollten. Der perfekte Teufelskreis also, aus dem ich lange Zeit nicht ausbrechen konnte.
Nun, da ich Mama bin, habe ich wiederum andere, ganz neue Hürden zu nehmen.
Ich erwähnte, dass ich mir das Mutti-Leben gechillt vorgestellt habe. Ein bisschen mit dem Kindchen spielen, dann eine Runde mit den anderen Muttis den Kinderwagen durch die Gegend rollen. Klar würde es auch mal Zirkus geben, aber herrje, so nervenaufreibend wie das alltägliche Hamsterrad konnte das doch nicht sein ...
Denkste! Karlchen beweist mir tagtäglich das Gegenteil.
Wenn er seine Kreischanfälle bekommt, sobald wir oder seine Spielsachen nicht das tun, was er will. Wenn er in sein Bettchen soll, das für ihn ein wahres Folterwerkzeug zu sein scheint, egal, wie sehr ihm die Äuglein zufallen. Und mit dem Thema Durchschlafen will ich gar nicht erst anfangen. Erst die Zähnchen, gepaart mit Entwicklungsphasen – die uns wohl die nächsten Jahre noch begleiten werden –, und dann die stetig wiederkehrenden Erkältungen ... An den Genuss erholsamen Schlummerns ist seit seiner Geburt nicht mehr zu denken.
Selbst wenn es keine der Ursachen ist, wird er regelmäßig wach und will zu uns ins Bett, damit er da ein bisschen Party machen kann, ob wir nun mitfeiern oder nicht.
Frage ich jedoch andere Muttis, wie das bei denen läuft, bekomme ich das altbekannte ›Alles gut!‹ als Antwort. Das Kind schläft pünktlich um acht ein, schlummert durch, durchlebt niemals irgendwelche Entwicklungsphasen und ist fast immer gut gelaunt. Und auch bei der Entwicklung des kleinen Menschleins gibt es nichts zu bemängeln.
»Physiotherapie? Ist bei uns nicht nötig.«
Rückblickend betrachtet, scheine ich wohl alles falsch gemacht zu haben ... Wir haben nämlich einiges mitgenommen, was die Palette an möglichen Komplikationen zu bieten hat. Angefangen bei der Physiotherapie bis hin zu den Stunden in der Krabbelgruppe, in denen mir regelmäßig der Angstschweiß vor neuerlichen Schreiorgien ausgebrochen ist.
Während bei anderen Babys alles wie geschmiert lief – egal, ob das auf den Bauchdrehen oder die ersten Krabbel- und Gehversuche – passierte bei Karlchen lange Zeit nichts. Bei den anderen gab es augenscheinlich auch keine Berührungsängste mit anderen Kindern. Sie waren neugierig auf das andere Wesen, das plötzlich da war, während Karlchens Schreikrampf quasi schon auf der Zunge lag, wenn sich ein fremdes Kind auch nur in seine Nähe gewagt hat. Und wenn er nicht gemeckert hat, blieb er im Gegensatz zu den anderen Babys, die sich quietschvergnügt an neue Dinge herangetastet haben, lieber an Ort und Stelle kleben oder wäre am liebsten in mich hinein geklettert.
Aber nicht nur die Kinder schienen allesamt Musterbeispiele zu sein. Auch bei den anderen Mamas war augenscheinlich immer alles tutti. Keine habe ich je erzählen hören, dass es Probleme mit dem Beckenboden gibt. Scheinbar war ich das letzte Einhorn, das erst seit Karlchens Geburt weiß, dass es den überhaupt gibt und er sogar in der Lage sein kann, weit in deinen Alltag zu grätschen.
Glaube mir, auch wenn der Beckenboden gern totgeschwiegen wird, die Tena Ladys, die im Drogeriemarkt zu finden sind, stehen da nicht grundlos. Der Beckenboden ist eine Muskelpartie, die spätestens nach der Geburt deines Kindes spezielle Zuwendung benötigt. Kümmerst du dich nicht um ihn, wird er sich eines Tages böse rächen. Das nur mal so am Rande …
Nun aber zurück zum Thema. Ich habe eine Theorie: Ich bin davon überzeugt, dass bei den anderen Mamas eben nicht alles tutti ist, dass es genau die gleichen Problemchen gibt, mit denen ich mich herumschlage. Für die meisten Frauen scheint es bloß einfacher zu sein, diese zu verdrängen oder schönzureden.
Warum sie das machen? Womöglich, weil sie sie als Schwäche auslegen. Dabei würde es anderen durchaus helfen, wenn es mal eine laut aussprechen würde.
Wie sagt meine Freundin oft so schön: »Jetzt solo, dreitausend netto und ’nen Cooper!«
Bei jeder Frau kommt irgendwann der Punkt, an dem sie ausflippen möchte, an dem ihr alles zu viel wird, die Bude kopfsteht, weil das Kind dabei ist, sie abzureißen. Und es ist überhaupt keine Schwäche, sich das einzugestehen. Im Gegenteil, es ist sogar echt stark, das anderen anzuvertrauen und um Hilfe zu bitten. Hey, immerhin sitzen wir Mamas doch alle im selben Boot!
Und was die Entwicklung deines Kindes angeht: Mach dich nicht verrückt. Jedes Kind ist individuell, jedes Kind ist anders. Bei dem einen passieren die Dinge eher, bei dem anderen später.
Auch Karlchen krabbelte urplötzlich los, lief ein halbes Jahr später munter durchs Haus und verlor seine Scheu vor fremden Kindern in den Spielgruppen von Stunde zu Stunde mehr. Es ist völlig in Ordnung, dass er zurückhaltend ist, während andere Kinder zur Kategorie der geborenen Entertainer gehören.
Du siehst also, auch wenn es gern behauptet wird, es ist nicht immer alles tutti. Vielleicht sollte man einfach zugeben, dass man gerade Stehhaare hat, denn wie heißt es so schön?
Nur sprechenden Leuten kann geholfen werden ...